Wolfgang Müller-Funk, Universität Wien
Das Eigene in fremdem Gewand. Zur Ironie von Selbst- und Fremdbildern in Joseph Roths Die Geschichte von der 1002. Nacht
Es ist an der Zeit, Joseph Roths Werk als eine pan-österreichische comédie humaine zu lesen, die in heterogenen symbolischen Räumen und Orten angesiedelt ist: in Galizien und dem angrenzenden russischen Raum, in Wien, der Metropole des Imperiums, in der böhmischen Provinz und dem südslawischen Raum.
Obschon kein Roman Roths auf dem „Balkan“ spielt, ist doch das Bild des Habsburgischen Imperiums von einem positiven Balkanismus durchtränkt. Dieser fungiert als ein symbolischer Horizont. Roths „imperfekte“ Monarchie ist ein mehrheitlich slawischer Vielvölkerstaat und somit auch ein Doppelgänger des Osmanischen Reiches. Was Roth als Narrativ unternimmt, ist ein beinahe Unmögliches. Sein „bhabhaistischer“, transnationaler Slawophilismus schließt eine ironische Affirmation des „Orient“ mit ein. Dieses Narrative führt uns Joseph Roth in seinem Kurzroman Die Geschichte von der 1002. Nacht in einem raffinierten Spiel von grellen Selbst- und Fremdbildern vor. Indem der Orientalismus auf das österreichische Kaiserreich angewandt wird, auf das China Europas, als das es im 19. Jahrhundert von aufklärerischen Geistern der Metternich-Ära bezeichnet worden ist, wird das Stereotyp augenzwinkernd aufgelöst und zugleich neu konfiguriert.