Projektnummer (beim kroatischen Ministerium für Wissenschaft, Bildung und Sport): 130-1301070-1062
Leiter: Prof. Dr. Marijan Bobinac
Mitarbeiter: Prof. Dr. Viktor Žmegač, Prof. Dr.
Dragutin Horvat, Doz. Dr. Svjetlan Lacko Vidulić, Ass. Dr. Milka Car, Ass. Mag.
Alma Kalinski, Ass. Rikard Puh, Ass. Ivana Perica (alle Zagreb); Prof. Dr.
Vlado Obad, Doz. Dr. Željko Uvanović, Prof. Dr. Josip Babić (alle Osijek); Doz. Dr. Daniel Baric (Tours); Prof. Dr. Matjaž Birk (Maribor); Dr. Kálmán Kovács (Debrecen); Prof. Dr. Jacques
Le Rider (Paris); Prof. Dr. Mira Miladinović Zalaznik (Ljubljana); Dr. Helga Mitterbauer (Graz); Doz. Dr. Wolfgang Müller-Funk (Wien); an Kolloquien im Rahmen des
Projektes nehmen auch zahlreiche andere Forscher aus Kroatien und Ausland
(Deutschland, Österreich, Schweiz,
Frankreich, Ungarn) teil.
Projektbeschreibung: Das Projektvorhaben
"Gedächtnis und Identität. Deutschsprachig-kroatischer Kulturtransfer" soll in
vielerlei Hinsicht Forschungen fortsetzen, die im Rahmen des vom kroatischen
Wissenschaftsministerium geförderten Projektes "Deutschsprachig-kroatische
Literaturbeziehungen" (2000-2006) durchgeführt wurden. Die Ergebnisse des
bisherigen Projektes, das verschiedene Aspekte der kroatisch-deutschsprachigen
Literaturbeziehungen (Rezeption der deutschsprachigen Literatur in Kroatien,
Übernahme deutscher literarischer Poetiken in die kroatische Literatur, die in
Kroatien entstandene deutschsprachige Literatur und Publizistik, Geschichte der
kroatischen Germanistik) behandelt hat, wurden auf mehreren Kolloquien
präsentiert und in fünf Sammelbänden dokumentiert. Der Titel des neuen
Projektvorhabens "Gedächtnis und Identität. Kroatisch- deutschsprachiger
Kulturtransfer" weist auf einen wesentlich erweiterten Forschungsgegenstand und
differenziertere Forschungsmethoden hin. Die ausschließlich bilaterale,
kroatisch-deutschsprachige Orientierung, die auch weiterhin im Zentrum des
Forschungsinteresses bleiben wird, soll nun durch die Dimension der
Multilateralität erweitert werden: Der Umstand, dass die Rezeption
deutschsprachiger kultureller Phänomene in Kroatien und in den Ländern der
Region ähnlich verlief, wird dabei viel mehr zum Ausdruck kommen, insbesondere
durch eine aktivere Teilnahme führender ausländischer Spezialisten für die
Kulturtransferforschung auf dem Gebiet der ehemaligen Habsburger Monarchie
sowie Länder Ost- und Südosteuropas. Das neue Projekt wird sich auch auf
differenzierteren Forschungsmethoden begründen, wobei im Mittelpunkt das
Forschungskonzept des "Kulturtransfers" stehen wird, ein Konzept, das
wesentlich komplexer und präziser als die bisher überwiegend verwendeten
Konzepte der "kulturellen/literarischen Beziehungen", "Berührungen" u. ä. ist.
Die Heranziehung des Konzeptes des "Kulturtransfers", das in den letzten beiden
Jahrzehnten von einigen deutschen und französischen Kulturhistorikern und
-theoretikern entworfen wurde, weist darauf hin, dass das Projekt nicht nur den
Austausch literarischer Texte (obwohl dieses Phänomen weiterhin zentral sein
wird), sondern auch die Vermittlung anderer Kulturphänomene zwischen Kroatien,
aber auch anderer, namentlich ex-habsburgischer Länder der Region und dem
deutschsprachigen Raum, umfassen wird.
Der Begriff des
"Kulturtransfers" bezieht sich dabei v.a. auf die Prozesse der Übertragung und
Vermittlung kultureller Artefakte (literarischer und anderer Texte, Diskurse,
Medien usw.) zischen einzelnen Kultursysteme, wobei der Akzent auf drei
Komponenten liegt: (1) auf Selektionsprozessen (Logik der Auswahl
transferierter Texte, Diskurse usw.), (2) auf Vermittlungsprozessen
(Darstellung unterschiedlicher Typen interkultureller Vermittler - Einzelne,
Gruppen, Institutionen), (3) auf Rezeptionsprozessen (Nachahmung und
Akkulturation, bzw. kreative Übernahme und Transformierung kultureller
Artefakte).
So wird eine komplexere Darstellung der Berührungen der deutschsprachigen mit
der kroatischen Literatur und Kultur (aber auch mit der Literatur und Kultur
anderer ost- und südosteuropäischer Länder) erst durch eine weitgehende
Relativierung der Idee von der "Ursprünglichkeit", "Urwüchsigkeit" der
Nationalkultur möglich sein. Ein neuer, kritischer Ansatz in der Erforschung
der nationalen Kultur und Literatur wird dabei all das ins Gedächtnis rufen,
was im Entstehungsprozess sowie im Prozess der weiteren Entwicklung nationaler
Kulturen unterdrückt und vergessen wurde. Der Grund für die Unterdrückung und
das Vergessen ist sicherlich nicht nur im Beharren auf der "Urwüchsigkeitsidee"
und im Ausschluss des Fremden, des Anderen zu suchen; man kann ihn auch im
Verhältnis zum "Deutschtum" und der deutsch(sprachig)en Kultur suchen, das
lange Zeit verschwiegen wurde oder worüber man nur oberflächlich, zumeist
politisch/ideologisch gefärbt reflektieren konnte. In diesen Aspekten wird sich
das Projekt auf methodologische Konzepte des "Kulturgedächtnisses" und der
"Kulturerinnerung" begründen, Konzepte, die die Erforschung der Phänomene des
Gedächtnisses, der Erinnerung und des Vergessens in literarischen und
nichtliterarischen Texten, Diskursen und Medien ermöglichen. Dabei wird man
davon ausgehen, dass Gedächtnis und Erinnerung auch eine entscheidende Rolle im
Ausbau und Aufrechterhaltung der individuellen und gesellschaftlichen, daher auch
nationalen Identität spielen.
Ein wichtiger Akzent soll dabei auf den regionalen Kontext, in dem die neuen,
nationalen Kulturen entstanden sind, gesetzt werden. Das wäre zugleich auch ein
Beitrag zur Entstehung einer regional begründeten Kulturgeschichte der
ehemaligen Habsburger Monarchie sowie Ost- und Südosteuropas, ein Beitrag, der
sich keineswegs auf naiv-nostalgische Darstellungen (wie bisher häufig der Fall
war) beschränken sollte. Im Vordergrund werden daher kulturelle Interaktionen,
die Verflechtung von Sprachen und Kulturen, Bilder von sich und von anderen
u.a. stehen. Insofern werden die in diesem Projekt durchgeführten Forschungen
auch einen Beitrag zur Bestimmung der kroatischen Identität leisten, was
insbesondere in jenen Komponenten der Identitätsstiftung der Fall sein wird,
die früher standen oder immer noch im Kontakt mit dem deutschsprachigen Raum
stehen.
Die aufgezählten
Ziele und Methoden des geplanten Projektes sollen namentlich im Rahmen
folgender Forschungsthemen verwirklicht werden:
- Transfer deutscher, namentlich
österreichischer Autoren- oder Gruppenpoetiken und literarischer Programme
in die kroatische Literatur. Die Erforschung von Einflüssen
deutschsprachiger Autoren auf die kroatische Literatur und darin
namentlich die Bestimmung tatsächlicher Tragweite des Einflusses von
deutschsprachigen literarischen Programmen und Poetiken wird eine
differenziertere Deutung von Entwicklungsprozessen der kroatischen
Literatur ermöglichen. Eine besondere Aufmerksamkeit wird dabei dem Transfer
anderer kultureller Güter geschenkt werden, wobei auch die Situation in
anderen relevanten Kulturen der weiteren Region berücksichtigt werden
sollte.
- Erforscht werden auch Oeuvres,
Poetiken und Biographien deutschsprachiger Autoren, die in Kroatien (und
anderen Ländern der Region) gelebt und gewirkt haben. Dabei sollen auch
Autoren mit zwei- und mehrsprachigen Oeuvres berücksichtigt werden,
Autoren, deren Texte sich durch ihre ‚Deterritorialisierung' nur schwer in
kohärente nationale Literaturen und Kulturen einreihen lassen.
- Ein wichtiges Forschungsgebiet wird
die Rezeption verschiedener kultureller Phänomene aus dem
deutschsprachigen Raum in Kroatien, wobei die bilaterale
Forschungskomponente immer durch die multilaterale Perspektive
vervollständigt werden sollte.
- Ein weiterer Akzent wird auf
imagologischen Forschungen liegen: erfasst werden Bilder über Kroatien und
Kroaten (sowie über andere Länder und Völker der Region), welche von
deutsch- aber auch anderssprachigen Autoren vermittelt wurden. Dabei sollen
auch verschiedene Stereotype kritisch beleuchtet werden, die in den
einzelnen nationalen Kulturen über andere Nationen existieren.
- Erstellung von umfassenden
Bibliographien zur deutschsprachigen Literatur in Kroatien.